Erst Opioide, dann Fentanyl, nun Tranq: Neue Drogen machen die tödlichste Bedrohung in den USA noch tödlicher, warnt die Drogenbehörde. Auf den Straßen von Philadelphia vegetieren die Süchtigen vor aller Augen. “Es ist ein Kriegsgebiet”, sagt ein Helfer.
An der Kreuzung von Kensington und Allegheny Avenue im Norden Philadelphias setzt Brian Parkhill eine große Tüte mit kleinen Wasserflaschen, Socken und Naloxon vor dem Esperanza Health Center ab. “Hier ist das Land der Drogendealer”, sagt er, “seit Jahrzehnten.” Der 51-Jährige weiß, wovon er spricht. Brian Parkhill war selbst 15 Jahre lang süchtig, seit sieben Jahren ist er sauber. Ein Passant läuft an ihm vorbei und deutet in die Richtung, aus der er kam: “Hey, da drüben stirbt jemand.”
Es ist ein Mittwoch im August, ein Tag wie jeder andere seit den 1970er-Jahren, nachdem Kensington zum offenen Drogenmarkt wurde. Eine Grünanlage an der gleichnamigen Hauptstraße wird nur “Nadelpark” genannt. Ganze Straßenzüge in Philadelphias Stadtteil sind unter anderem durch Heroin und andere Opioide, süchtig machende Schmerzmittel, zur Zombiezone geworden. Die Stadt im Bundesstaat Pennsylvania ist eines der Zentren der Opioid-Krise. Im Jahr 2023 starben in den USA mehr als 100.000 Menschen an einer Überdosis, etwa 70.000 davon am synthetischen Fentanyl. Das Gegenmittel heißt Naloxon, kostet aber 20 bis 30 Dollar pro Dosis; Geld, das viele Süchtige nicht haben.
Mit Tranq
Die neue Welle, das ist Xylazin, auch Tranq genannt, ein Beruhigungsmittel für Pferde. Die Tiere betäubt es bis zu 90 Minuten lang. Die vielen Hunderten Abhängigen, die in Kensington leben, spritzen es, schniefen, schlucken oder rauchen den Stoff, häufig mit Fentanyl vermischt – und sind danach bis zu zehn Stunden so gut wie regungslos.
Die US-Antidrogenbehörde DEA veröffentlichte bereits im Mai 2023 eine Warnung. “Xylazin macht die tödlichste Drogenbedrohung, der unser Land je ausgesetzt war, Fentanyl, noch tödlicher”, wird DEA-Chefin Anne Milgram zitiert. Die DEA hatte da bereits in 48 von 50 Bundesstaaten entsprechende Mischungen beschlagnahmt. Im Jahr 2022 waren ein Viertel des Fentanyls in Pulverform mit Tranq versetzt gewesen.
Geldmaschine legaler Suchtmittel
Die Opioid-Krise hatte Ende der 1990er-Jahre mit dem Schmerzmittel Oxycontin begonnen, von dem Patienten abhängig wurden. Noch heute muss sich die Inhaberfamilie Sackler von Purdue Pharma dafür vor Gericht verantworten. Sie und andere Hersteller traten wider besseres Wissen die Opioid-Welle los, bestachen unter anderem Ärzte mit Reisen. Sie bezahlten den wichtigsten Zwischenhändlern von Medikamenten Milliarden Dollar, damit diese den Zugang erleichterten und Ärzte ermutigten, Opioide zu verschreiben. Die Beteiligten verschlossen ihre Augen vor den Folgen. Das Land kämpft weiterhin dagegen an.
Das synthetische Opioid Fentanyl machte die Krise monumental. Zunächst hatten mexikanische Drogenkartelle es aus China geschmuggelt und über die Grenze nach Norden geschickt. Inzwischen produzieren die Kartelle Sinaloa sowie Cártel de Jalisco Nueva Generación die Droge selbst. Die Grundstoffe erhalten sie weiterhin größtenteils aus China. Doch die hohe Aufmerksamkeit für die Krise sowie der US-Handelskrieg mit China gefährdet die Profite. Die Organisationen arbeiten daran, sich noch unabhängiger zu machen: Sie werben gezielt Chemie-Ingenieure von mexikanischen Universitäten ab, um auch die Grundstoffe möglichst selbst herzustellen.
ntv
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