Was ein Pelosi-Besuch in Taiwan bedeuten würde
Wenn die US-Demokratin Pelosi auf ihrer Asienreise tatsächlich Halt in Taiwan macht, wäre das für China ein echter Affront. Aber warum? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.Trotz chinesischer Drohungen will die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi wohl nach Taiwan reisen. China kündigt für den Fall bereits Gegenmaßnahmen an und spielt militärisch mit den Muskeln. Taiwans Streitkräfte erhöhen ihre Einsatzbereitschaft. Welche Rolle spielt ein möglicher Besuch Pelosis in Taiwan?Warum wird über einen möglichen Besuch gemunkelt?Im Vorfeld hatten bereits mehrere Medien über einen möglichen Besuch Pelosis in Taiwan berichtet. Weder Pelosi noch die US-Regierung hatten etwaige Berichte bisher bestätigt. Auch im offiziellen Reiseplan von Pelosi taucht Taiwan nicht auf. Das ist allerdings nicht ungewöhnlich: Reisen von offiziellen US-Vertretern in den Inselstaat werden üblicherweise bis zu ihrer Landung geheim gehalten.
Wie wahrscheinlich ist ein Besuch Pelosis?Es gibt zumindest einige Indizien, die auf einen Besuch Pelosis in Taiwan hindeuten. Zuletzt hatte ein taiwanischer Abgeordneter der Deutschen Presse-Agentur bestätigt, dass Pelosi im Rahmen ihrer Asienreise voraussichtlich am Abend aus Malaysia kommend in Taipeh eintreffen werde. Lokale Medien erwarten Pelosi am Nachmittag (deutscher Zeit). Um das Hotel, wo Pelosi möglicherweise übernachten dürfte, wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Morgen könnte es demnach ein Treffen mit Präsidentin Tsai Ing-wen geben.Was ist der Grundkonflikt?Die chinesische Führung betrachtet Taiwan als Teil Chinas. De facto gibt es aber seit 72 Jahren zwei chinesische Staaten: die kommunistische Volksrepublik China und die Republik China, die offiziell immer noch so heißt, aber international bekannt ist unter dem Namen der Insel, auf der sie liegt – Taiwan.Taiwan hat sich seit Ende der 1980er-Jahre von einer Diktatur zu einer lebhaften Demokratie entwickelt. Die Insel gehört zu den politisch stabilsten Demokratien Asiens. China ist dagegen eine kommunistische Volksrepublik. Der heutige Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht eine “Vereinigung” mit Taiwan als “historische Mission”.
Der Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan schwelt seit Jahrzehnten.
Was wollen die Taiwaner? Die Taiwaner verstehen sich mehrheitlich längst als unabhängig und wollen zumindest den Status quo wahren. Auch wollen sie als Demokratie international anerkannt werden und sich keinem diktatorischen System wie in Festlandchina unterwerfen. Die frühere Kuomintang-Regierung hatte einst selber einen Vertretungsanspruch für ganz China, was sich bis heute im offiziellen Namen “Republik China” widerspiegelt. Dieser Anspruch wurde 1994 aufgegeben. Damals wandelte sich Taiwan von einer Diktatur zu einer lebendigen Demokratie. Jede Veränderung des Status quo müsste aus Sicht der Regierung heute demokratisch von den 23 Millionen Taiwanern entschieden werden.Was haben die USA mit Taiwan zu tun?Die USA haben sich schon lange der Verteidigungsfähigkeit Taiwans verpflichtet – und zwar auch gesetzlich. Nach der diplomatischen Anerkennung Chinas hatten sich die USA schon 1979 mit dem “Taiwan Relations Act” gesetzlich selbst dazu verpflichtet, Taiwans Verteidigungsfähigkeit weiter zu unterstützen. Meist passiert das durch Waffenlieferungen “defensiver Art”. Nachdem die USA bislang zum Zwecke der Abschreckung “strategisch zweideutig” geblieben waren, ist US-Präsident Joe Biden weitergegangen als seine Vorgänger: Er bezeichnete es wiederholt als “Verpflichtung”, Taiwan zu verteidigen.Zudem hat die Insel zwischen Japan und den Philippinen eine große strategische Bedeutung – nicht nur für China. So bezeichnete der US-General Douglas MacArthur Taiwan einst als “unsinkbaren Flugzeugträger” der USA. Eine Eroberung durch China wäre ein wichtiger Baustein in dessen Großmacht-Ambitionen, weil es das Tor zum Pazifik öffnen würde.Droht eine baldige militärische Eroberung durch China? Die Gefahr einer Eroberung Taiwans durch China hat unter Xi Jinping deutlich zugenommen. Dafür modernisiert China schon lange besonders seine Marine und Luftwaffe. Es wird davon ausgegangen, dass der mächtige Präsident das Vorhaben noch in seiner Amtszeit umsetzen will. Im Herbst will sich Xi Jinping für weitere fünf Jahre bestätigen lassen. Weitere Amtszeiten sind denkbar. Ein ausländischer Botschafter meinte jüngst: “Ich hoffe, dass Xi Jinping noch möglichst lange im Amt bleibt”. Das würde den Zeitpunkt einer militärischen Eroberung weiter in die Zukunft schieben.
Pelosi will als dritthöchste Politikerin der USA Taiwan besuchen – ein Dilemma für die US-Regierung.
Warum wird Taiwan nur von wenigen Ländern anerkannt?China zwingt jedes Land, das diplomatische Beziehungen mit Peking haben will, keine offiziellen Kontakte mit Taiwan zu unterhalten. Es ist vom “Ein-China-Grundsatz” die Rede. Danach ist Peking die einzige legitime Vertretung Chinas. Auf chinesischen Druck wurde Taiwan aus den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen ausgeschlossen. Nur weniger als zwei Dutzend kleinere Länder unterhalten noch diplomatische Beziehungen. Deutschland oder die USA betreiben nur eine inoffizielle Vertretung in Taipeh.Warum sind die Spannungen international bedeutsam?Der Streit um Taiwan zählt zu einem der gefährlichsten Konfliktherde der Welt. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine wächst weltweit die Sorge, dass China auf ähnliche Weise versuchen könnte, die demokratische Insel zu erobern. Eine militärische Auseinandersetzung hätte massive Auswirkungen auf die globale Wirtschaft. Sollte ein Streit zwischen der USA und China eskalieren, stünden sich zwei Atommächte gegenüber.
Offiziell steht Taiwan nicht auf der Besuchsliste von Nancy Pelosi, doch inoffiziell soll sie am heutigen Dienstag für eine Übernachtung in Taipeh ankommen und morgen Präsidentin Tsai Ing-wen treffen. Peking könnte mit einer militärischen Eskalation reagieren, warnen Analysten.
Geht es nach den offiziellen Reisedaten, wird die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auf ihrer Reise nach Asien lediglich die engen Verbündeten Japan und Südkorea, sowie das südostasiatische Malaysia besuchen. Dies berichtet zumindest die “Financial Times“. Allerdings ist jedem in Washington auch klar, dass eine offizielle Ankündigung von Peking als Missachtung des Ein-China-Prinzips verstanden würde, was die entsprechenden Maßnahmen der kommunistischen Führung im Vorfeld bereits in die Wege leiten würde.
Indessen berichtet die “The Straits Times” aus Singapur unter Berufung auf mehrere Quellen, dass Pelosi am heutigen Dienstag in Taipeh eintreffen und am Mittwoch die Präsidentin der selbstverwalteten Insel, Tsai Ing-wen, treffen werde. Dies, obwohl Peking bereits davor warnte, dass dessen Militär, die Volksbefreiungsarmee, niemals “tatenlos dastehen” werde, wenn die Sprecherin tatsächlich nach Taiwan fliegt. Indessen sagte US-Außenminister Antony Blinken, dass Pelosis Besuch in Taiwan völlig ihre eigene Entscheidung sei und China die Spannungen im Falle eines solchen Besuches nicht erhöhen solle.
Doch angesichts der anhaltend hohen Spannungen zwischen Peking und Washington, sowie des äußerst negativen Telefongesprächs zwischen den Präsidenten Xi und Biden letzte Woche, dürfte ein Taiwan-Besuch Pelosis eine “rote Linie” darstellen, auf die die Chinesen auf jeden Fall reagieren werden.
Tagespiegel.de
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